Unser Pressearchiv
Schalhorn will nicht zahlen
Bundesregierung hat Kreispolitiker im Rahmen der Rückholaktion aus Australien geflogen / Der zieht Vergleich mit Flüchtlingskrise
Von Cornelia Sprenger
KLEIN NORDENDE Zwei Wochen lang saß Kreistagspolitiker Burghard Schalhorn (KWGP, Foto) im März im australischen Brisbane fest (wir berichteten). Wegen der Corona-Pandemie hatte die Airline Emirates den geplanten Rückflug des 78-Jährigen am 23. März storniert. Der Verwandschaftsbesuch verlängerte sich ungewollt, Schalhorn erhob gegenüber dieser Zeitung Anschuldigungen gegen das Auswärtige Amt (AA), das sich nicht ausreichend um die gestrandeten Urlauber kümmere. Dann klappte es auf einmal doch, Schalhorn und seine Familie wurden am 5. April gemeinsam mit anderen Touristen von einem vom Auswärtigen Amt gecharterten Flugzeug zurückgeflogen.
Insgesamt hatte Außenminister Heiko Maas mehr als 200000 Deutsche aus allen Teilen der Welt zurückholen lassen - für rund 94 Millionen Euro. Doch nun wurde bekannt, dass die Bundesregierung in den nächsten Wochen den Zurückgeholten die Flüge in Rechnung stellen wird. Die pauschal dafür aufgerufenen Kosten orientieren sich laut AA an den üblichen Economy-Preisen und hängen vom Reiseland ab.
Wer aus Australien zurückgeholt wurde, soll 1000 Euro bezahlen. Ob die tatsächlich entstandenen Kosten dadurch gedeckt werden, spielt laut AA keine Rolle.
Rund 67 000 Reisende sind davon betroffen. Die übrigen Rückgeholten sind teils über Reisebüros, teils mit anderen Fluglinien gekommen und haben bereits Geld dafür bezahlt. Deshalb - und daran hat der Außenminister nie einen Zweifel gelassen, ist es nach Ansicht des AA es nur recht und billig, dass nun auch die Passagiere an den Kosten beteiligt werden, deren Flüge von der Regierung organisiert wurden. Das mussten die Passagiere vor Flugantritt unterschreiben.
Schalhorn sieht sich nicht in der Pflicht. Der Klein Nordender hat einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben und greift die Inrechnungstellung der Rückholaktion scharf an. Schalhorns Ansicht nach ist es ein „Grundsatz der Verpflichtung des Staates“, Deutsche Bürger, die unverschuldet im Ausland gestrandet sind, kostenfrei zurückzuholen. Statt das Geld von den betroffenen Bürgern zurückzufordern, müsse Deutschland das Geld bei den Fluggesellschaften zurückfordern: „Jetzt will sich der Staat Deutschland vor seiner Pflicht drücken und die Schwächsten zur Kasse bitten. Ist dieser Staat Deutschland so schwach geworden, die bereits bezahlten Rückflüge bei den Fluggesellschaften einzufordern?“
Die Rechtslage ist in Europa klar: Streicht eine Fluggesellschaft einen Flug, bekommt der Passagier sein Geld zurück. Allerdings zeigen zahlreiche Beschwerden im Internet, dass sich während der Corona-Krise kaum eine Fluggesellschaft daran hält. Die Unternehmen bieten ihren Kunden lieber Gutscheine an und verweigern oft die Erstattung des Ticketpreises. Noch komplizierter ist es bei Fluggesellschaften, die ihren Sitz nicht in der EU haben, wie bei Emirates. Hier gilt das europäische Fluggastrecht meist nur für den Hinflug. Auf seiner Internetseite schreibt Emirates zwar, die Tickets könnten erstattet werden. Das Reisebüro, bei dem Schalhorn gebucht hat, konnte aber bislang nichts erreichen. Im Klartext: Schalhorn hat noch kein Geld gesehen: „Der einzelne Bürger hat keine Chance, der Staat lässt uns im Regen stehen.“
Er geht mit seiner Kritik noch weiter, will sich einer kommenden Zahlungsaufforderung durch die Bundesregierung widersetzen und fordert auch andere auf, das zu tun. Für den Fall, dass Emirates zahlt, wäre er aber bereit, das Geld an die Regierung zurück zu überweisen.
Schalhorns zentrales Argument gegenüber der Kanzlerin ist die Ungleichbehandlung der gestrandeten deutschen Bürger gegenüber den Bürgen während der Flüchtlingskrise: „Seit der Flüchtlingsinvasion im Jahre 2015 finanziert der Bürger, der jetzt gestrandet war, ob er will oder nicht, Ihre Flüchtlingspolitik. Jetzt könnte man sagen, ja, wir haben eine Verpflichtung den Flüchtlingen gegenüber. Wo bleibt die Verpflichtung unseren Bürgern gegenüber?“ Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hatten Zehntausende Privatpersonen und Institutionen Syrern mit sogenannten Flüchtlingsbürgschaften eine Einreise nach Deutschland ermöglicht. Allerdings waren zahlreiche Bürgen von den Behörden unzureichend über die Geltungsdauer informiert worden. Deshalb hatte sich die Regierung zu einer Kostenübernahme nach Einzelfallprüfung entschlossen. Schalhorn: „Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Die Einen sind die Gutmenschen, weil sie Bürgen für die Asylbewerber sind, und die Anderen sind die Bösen, mich eingeschlossen, Geldverschwender und Umweltverpester.“
Die Reisewarnung der Bundesregierung zumindest für die meisten europäischen Länder wurde mittlerweile aufgehoben. Eins hat Heiko Maas allerdings deutlich gemacht: Die Rückholaktion soll auf keinen Fall wiederholt werden.
KOMMENTAR
Äpfel mit Birnen verglichen
Der Ärger von Burghard Schalhorn darüber, vorerst die Rückflug-Kosten doppelt zahlen zu müssen, ist verständlich. Die Bundesregierung jedoch hat ihre Pflicht erfüllt, in dem sie die Heimkehr ermöglicht hat. Wer eine Individualreise bucht, tut das zu einem gewissen Grad auch auf eigenes Risiko. Warum sollten die Millionen daheimgebliebenen Steuerzahler dafür einstehen? Zumal 1000 Euro für einen Flug von Australien nach Deutschland fair sind. Gerechtfertigt wäre höchstens die Forderung, die Politik möge Druck auf die Fluggesellschaften ausüben.
Wirklich unpassend ist der Vergleich mit der Flüchtlingskrise. Hier werden schamlos Äpfel mit Birnen verglichen. Was hat ein von der Regierung in Rechnung gestellter Rückreiseflug während der Corona-Krise mit von der Regierung übernommenen Bürgschaften für Flüchtlinge zu tun? Genauso gut könnte Schalhorn jede andere beliebige Ausgabe der Regierung anführen, die ihm nicht passt. Dass er sich ausgerechnet die Flüchtlingskrise herausfischt, ist billige Bauernfängerei am rechten Rand - ohne Sachbezug. Sich selbst nach seinem Australien-Trip auch noch in die Gruppe der „Schwächsten“ einzuordnen, während andere in der Krise ihre Existenz verlieren - das ist nur noch dreist. Cornelia Sprenger